Die 4-Tage-Woche gewinnt an Popularität, aber was sind die realen Auswirkungen auf Kanzleien? Erfahren Sie, wie Modelle aus Belgien und Island funktionieren und welche Herausforderungen sie mit sich bringen.
Die Wunscharbeitszeit vieler Menschen liegt nach Umfragen bei 32 Stunden - freilich derzeit für die meisten nicht in Sicht. Dass es aber funktioniert, die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich von 40 auf 36 Stunden zu senken, zeigt das Beispiel Island. Andere Modelle in Europa sehen zwar auch drei freie Tage vor, verteilen aber 40 Arbeitsstunden auf vier Tage. Zum Beispiel hat Belgien ein solches Modell beschlossen, auch etliche Kanzleien praktizieren bereits die 4-Tage-Woche. Doch mit welchen Folgen?
Es klingt eigentlich immer durchweg positiv, wenn man Kanzleichefs danach fragt, welche Erfahrungen sie mit der 4-Tage-Woche gemacht haben. Mitarbeitende mit 4-Tage-Woche machten die höchsten Umsätze, seien zufriedener und überhaupt wäre alles tipptopp. Derselbe Tenor tönt auch durch die sozialen Medien, quer über alle Branchen hinweg.
Doch was momentan zumindest für den Imagegewinn bestens funktioniert, passt mutmaßlich langfristig nicht für alle Beschäftigen. Denn den Job wie bislang in fünf nun dauerhaft in vier Tagen zu erledigen, kann auch zum Problem werden. Das findet jedenfalls die gewerkschaftsnahe Wissenschaftlerin Dr. Johanna Wenckebach, Leiterin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht der Hans-Böckler-Stiftung. Sie meint:
»Findet Ihr es super, Eure Arbeit in vier Tage zu quetschen?»
Wenn Studien fragten »Findet Ihr es super, vier Tage zu arbeiten?» dann müsste die Frage im Grunde oftmals eher lauten: »Findet Ihr es super, eure Arbeitszeit in vier Tage zu quetschen?». Eine dieser Umfrage führte Forsa im Auftrag von RTL und ntv durch. Danach befürworteten tatsächlich rund 71 % der Befragten, dass Deutschland das Belgische Modell übernimmt. Insbesondere Beschäftigte mit höherem Bildungsabschluss sprachen sich mehrheitlich für die 4-Tage-Woche aus https://www.presseportal.de/pm/154530/5150829
Belgien hatte schon Anfang 2022 die Vier-Tage-Woche bei gleicher Arbeitszeit beschlossen; Arbeitnehmende können künftig ihre Wochenarbeitszeit flexibel an vier oder fünf Tagen in der Woche verrichten. Die Gesamtarbeitszeit ändert sich dadurch aber nicht, ein Vollzeitarbeitnehmender mit einer 40-Stunden-Woche könnte lediglich etwa an 4 Tagen 10 Stunden statt an 5 Tagen 8 Stunden arbeiten.
Auch die gewerkschaftsnahe Wissenschaftlerin ist grundsätzlich für ein Wegkommen von der Vollzeitnorm, befürchtet aber durch ein solches Modell gesundheitliche Probleme. Verdächtig sei, so sagt sie, dass in Belgien gleichzeitig mit der 4-Tage-Woche ein Recht auf Nichterreichbarkeit beschlossen wurde, das heißt, sanktionsfrei Mitarbeitenden zu erlauben, E-Mails nach Dienstschluss nicht mehr abzurufen. »Eigentlich haben wir in unserem Arbeitszeitgesetz dieses Recht bereits verankert, das wir aber offenbar in den kom- menden Jahren in der digitalisierten Arbeitswelt verteidigen müssen», so Wenckebach.
Dass es auch anders als in Belgien geht, zeigt das Beispiel Island: Dort hatten auf Druck von Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft der Stadtrat von Reykjavik und die isländische Regierung vier Jahre lang 2.500 Beschäftigte aus über 100 Unternehmen in einem Experiment statt 40 im Schnitt nur 35 oder 36 Stunden arbeiten lassen, bei vollem Lohnausgleich. Der Erfolg war durchschlagend, mittlerweile wurden generell die Arbeitszeitregelungen geändert mit dem Ergebnis, dass 90% der Isländerinnen und Isländer kürzer arbeiten können.
Auch Spanien experimentiert derzeit mit der 4-Tage-Woche, und in Deutschland mehren sich die Stimmen, die konstruktivere Konzepte von Autonomie bei der Arbeitszeit fordern. Das Ergebnis dürfe, so die Gewerkschafterin, freilich nicht sein: »Jeder darf rund um die Uhr, und Pause muss keiner.»
Nach welchen Voraussetzungen im Gegensatz dazu die Einführung einer 4-Tage-Woche organisiert sein sollte, erklärt der Arbeitsmarktforscher und Volkswirt Dr. Professor Alexander Spermann, der in Köln und Freiburg lehrt: »Man kann die Möglichkeit anbieten, dann werden sich diejenigen ein selektieren, die das wollen und auch können.» Denn nicht jeder könne in vier Tagen das gleiche Pensum erledigen wie zuvor in fünf. Am Ende gelte immer: Wenn man nur vier Tage mit dem selben Ergebnis arbeiten will, dann müsse man hochproduktiv sein. Und das schaffe nicht jeder.
Eine Alternative zur dauerhaften 4-Tage-Woche wäre es, das gesamte Jahr zu betrachten - Deutschland sei aber momentan noch viel zu unflexibel, um über Jahresarbeitszeiten nachzudenken. Der Forscher beklagt in diesem Zusammenhang ein starres Arbeitsrecht hierzulande, das enge Grenzen setze, etwa im Hinblick auf Höchstarbeits- und Mindestpausenzeiten.
Verbindliche Regeln für die Ausgestaltung der Arbeitszeit gibt es tatsächlich zuhauf im Rahmen des geltenden Arbeitsrechts, die 4-Tage-Woche ist aber grundsätzlich gesetzeskonform gestaltbar, wenngleich es dafür noch kein klares, eindeutiges Modell gibt.
Ihre Einführung folgt in Deutschland daher im Moment dem Muster »Versuch und Irrtum». Wo sich allge- mein die etablierte Wirtschaft über alle Branchen hinweg schon schwer mit einer ausgewogenen differen- zierten Position tut, gilt das für die Beratungsbranche gleichermaßen. So teilt etwa die Bundessteuerbera- terkammer auf Anfrage mit: »Es obliegt der Regie der einzelnen Kanzlei, wie sie die Arbeitsorganisation aufsetzt. Das können wir nicht beurteilen.» - so die Antwort auf eine E-Mail-Anfrage vom 27.5.2022!
Da ist vielleicht mehr Wahrheit dran als es im ersten Moment erscheint. Denn ein gangbarer Kompromiss zwischen »Alles kann und nix muss» à la Spermann ist selbst im regelungsaffinen Deutschland immer eine Sache, die zwischen den Beteiligten individuell ausgehandelt werden wird.
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